Eine kurze Anekdote über das „Schnelle Urteil zu einer Stellung“

„Bei der folgenden kleinen Anekdote habe ich mich selbst gesehen“

Richtig oder falsch ?

Das schnelle, treffliche Urteil der jungen / schwachen Spieler
Bei einem Open hatte sich in einer Partie die Stellung taktisch zugespitzt und etliche Zuschauer standen ums Brett herum und versuchten flüsternd, den wahrscheinlichen Ausgang zu erraten. Ein etwa 16jähriger Spieler von mittlerer Klubstärke hatte keine Zweifel am Ausgang. Er rasselte eine Variante herunter und sagte im Brustton der Überzeugung:
„Weiß gewinnt, das ist doch absolut klar“.

Zufällig befand sich auch ein bekannter Großmeister unter den Zuschauern, der gerade begonnen hatte, die Stellung intensiver zu mustern.

„Ich wäre froh, wenn ich solche Stellungen so schnell durchschauen könnte wie du“, meinte er ruhig und gelassen. Die umstehenden Zuschauer grinsten. Dem Jugendlichen war nicht recht klar, ob das ein großes Lob oder ein in Ironie gewickelter Tadel war. Der Großmeister schaute noch etwa zehn Sekunden konzentriert aufs Brett und meinte dann:
„Was machst du eigentlich, wenn er im letzten Zug deiner Variante nicht schlägt, sondern Zwischenschach durch ein Springeropfer auf f3 gibt? Das könnte vielleicht ganz interessant werden.“ Sprach’s und verschwand, einen jungen Schachfreund zurücklassend, dessen Gesichtsfarbe jeder Tomate zur Ehre gereicht
hätte.

Sicher eine gute Lehre für den Jungen, aber leider haben wir ja nicht immer einen meisterstarken Spieler zur Hand, der die übermütigen und allzu selbstbewussten – oder auch einfach nur oberflächlichen und denkfaulen – Schachfreunde ein bisschen zurechtstutzt und auf ihren Platz in der Schachhierarchie verweist, „to put them in their places“, wie Bobby Fischer das nannte.

Und die Moral von der Geschichte?

Eine sogar wissenschaftlich belegte Erkenntnis ist, dass schwache Spieler erstens dazu neigen, sich nur auf den Bereich des Bretts, wo „Action“ ist zu konzentrieren und zweitens oft ein schnelles Urteil fällen, an dem sie dann festhalten und nicht länger offen für andere Möglichkeiten sind. Jeder Jugendtrainer kennt das Problem und wir schauen hier einem solchen Kollegen, der aus seinen Erfahrungen berichtet, über die Schulter“:
„Die Analyse von Stellungen ist ein wichtiger Bestandteil des Schachtrainings, wird aber leider viel zu wenig und oft nur oberflächlich angewendet. Das Erkennen und Abwägen von Möglichkeiten vermittelt Erfahrungen und verbessert die Variantenberechnung. Mehr dazu findest du im Artikel „Stellungsbeurteilung – der Schlüssel zur Analyse“.
Doch nicht jeder Schachfreund hat die nötige Aufgeschlossenheit, die dazu notwendig ist.

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